kids to life beherbergt Flüchtlingsfamilie aus dem Irak

kids to life beherbergt Flüchtlingsfamilie aus dem Irak

Vor dreieinhalb Monaten hat Anton Schrobenhauser eine siebenköpfige Familie aus dem Irak auf dem Gelände seiner Stiftung „kids to life“ aufgenommen. Nach Jahren der Angst und des Terrors blühen die Kinder wieder auf. Jetzt droht der Familie ein weiterer Umzug. Der Grund: Sie finden keine Wohnung in Unterhaching.

Die 13-jährige Helin fährt auf ihrem grünen Fahrrad in großen Schleifen über den Kies. Wieder und wieder. Sie blinzelt gegen die Sonne, das korallfarbene T-Shirt flattert im Wind, die Luft riecht nach Frühling – Helin lacht und schnattert auf Arabisch vor sich hin. Zum ersten Mal seit vielen Jahren muss das Mädchen keine Angst haben, vor die Tür zu gehen. In ihrem neuen Leben fliegen keine Busse in die Luft, es gibt keine Scharfschützen wie in ihrer Heimtstadt Mossul (Irak), kein Blut, keine Gewalt. „Hier lebt Familie Farouk in einem geschützten Raum“, sagt Barbara Hathaway, eine Mitarbeiterin der Schrobenhauser-Stiftung „kids to life“.

Ihr geschützter Raum, das sind 10 000 Quadratmeter mit Streichelzoo, Pferdekoppel, einer Go-Kart-Bahn und einem Spielplatz. In einem Blockhaus mit Stockbetten wohnt die siebenköpfige Familie auf 40 Quadratmetern. Zum Duschen, Kochen oder Essen müssen Farouks ins Nebenhaus – auch nachts. „Es war von Anfang an als Übergangslösung gedacht“, sagt Hathaway. „Jetzt ist die Familie so weit, dass sie in ihre eigene Wohnung ziehen können.“

Helin, ihre Eltern und vier Geschwister sind vor dreieinhalb Monaten nach Unterhaching gezogen. Gemeinderat Anton Schrobenhauser hatte die Familie Mitte Dezember zusammengeführt – nach vier Jahren Trennung. Salin, der Familienvater, war bereits 2009 aus der nordirakischen Stadt Mossul über Griechenland nach Deutschland geflüchtet. „Sein Leben war in Gefahr“, sagt sein Bruder Zinar Farouk. Salins Schwiegervater und Cousin sind geblieben – beide wurden verschleppt und tauchten nie wieder auf. Als der Druck auf die religiöse Minderheit der Jesiden – zu der Farouks gehören – weiter zunimmt, entschließt sich im vergangenen Jahr auch Ehefrau Khalida (41) zur Flucht. Mit Tochter Gazhal (7), Sohn Hider (11), Tochter Helin und den Söhnen Farah (15) und Heitham (17) verlässt sie im Herbst das Haus in Mossul. Die Monate bis zum Umzug nach Unterhaching verbringt Khalida mit drei ihrer Kinder im Auffanglager in Zirndorf, Hider und Farah kommen in einem Münchner Kinderheim unter. Anschläge, Auffanglager, Heim: Als die Eltern über diese Zeit sprechen, starren die Kinder auf den Holzboden im kleinen Blockhaus von „kids to life“. Gazhal hängt am Arm des Vaters. Dem Vater, den sie vor dreieinhalb Monaten nicht mehr erkannt hat.

Erst als es um die neuen Schulen geht, die Leseomas und -opas oder die Ehrenamtlichen aus dem Helferkreis, leuchten die Augen wieder: Die Kinder fühlen sich wohl in ihrem neuen Zuhause, sind angekommen – und wollen bleiben. „Sie jetzt aus Unterhaching herauszureißen, wäre fatal“, sagt Barbara Hathaway. Neue Schule, neue Lehrer, neue Umgebung – ein Albtraum für die Flüchtlingskinder. Wie dringend die Wohnungssuche ist, zeigt der Blick auf den Kalender von „kids to life“: Am 1. April lädt das Freizeitgelände in der Sternstraße wieder Heimkinder aus der Region ein. „Wenn es nicht anders geht, werden wir die Kinder vertrösten müssen“, sagt Schrobenhauser. Wieder eine Übergangslösung, mehr aber auch nicht. Noch hofft Helin auf ein Happy-End.

Die 13-jährige Schülerin steigt auf das grüne Rad, das der Helferkreis ihr geschenkt hat. Sie zieht ihre Runden auf dem Kiesplatz vor der Blockhütte. Wieder und wieder. Und ganz ohne Angst.

Münchner Merkur, 27.3.2014